Hast du Eltern, die sich anders verhalten, oft trinken oder grundlos aggressiv sind? Viele Jugendliche sind betroffen, wenn Eltern psychisch erkrankt oder süchtig sind, und wissen oft nicht, was normal ist. Hier im Forum hast du die Möglichkeit, Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu finden.
Nach einem ersten Impuls von Moderatorenseite bist auch du in diesen Themenwochen herzlich eingeladen, dich mit deinen Erfahrungen, Meinungen, Ideen und Fragen einzubringen. Lass uns darüber diskutieren!
Liebe bke-Claudia,
Vielen Dank für deine Antwort. Deine Worte bedeuten mir viel. Ich wusste nicht, dass auch andere erzählen, dass die Aufgaben ganz normal von den Eltern gemacht werden, obwohl eigentlich sie die Aufgaben übernommen haben, weil ein Elternteil es nicht geschafft hat.
Liebe Grüße,
BoringBee
Liebe BoringBee,
vielen Dank für deine ehrliche und mutige Antwort hier. Ich bin der festen Überzeugung, dass viele Jugendliche deine Situation kennen und mitfühlen. Ich musste direkt heftig mit dem Kopf nicken, als du auch noch ein weiteres Phänomen beschrieben hast: betroffene Kinder und Jugendliche berichten, für die eigenen Eltern zu lügen, um den nächsten Konflikt aus dem Weg zu gehen. Dabei hättest du so sehr Anerkennung für DEINE Leistung verdient, das übernehme ich dann gern an dieser Stelle: deine Eltern können sehr froh und stolz auf dich sein.
Wie sieht es bei euch anderen aus? Habt ihr warme Worte für Bee? Wer kennt das noch? Und gibt es Tipps, die ihr untereinander noch austauschen könnt, wie ihr euch selbst in solchen Situationen stärken und schützen könnt?
bke-Betty/ bke-Claudia
Hey :)
Ich bin nicht direkt davon betroffen, meine eltern trinken nicht oder sind auch nicht physisch gewalttätig... Ich hoffe, es ist okay, wenn ich trotzdem etwas schreibe.
Meine Mama hat/hatte Depressionen, war in Therapie und ist auch jetzt noch in einer Paartherapie zsm mit meinem Papa. Der hat Zwänge und Ängste.
In Corona gab es eine Phase, wo es meiner Mama schlecht ging. Sie lag im Bett und hat geweint, sie ist einfach nicht mehr aufgestanden. Das Essen das ich ihr gebracht habe, hat sie nicht gegessen. Ich war 15 oder so glaub ich und mir ging es selber nicht gut (Essstörung, Panikattacken etc). Ich war so unfassbar überfordert. Ich musste ihre Pflichten übernehmen, habe zb abgewaschen oder gekocht, nebenbei war Homeschooling. Meinem Vater habe ich am Abend erzählt, das hätte alles meine Mama selber gemacht, damit er nicht wütend wird.
Ich war so hin und her gerissen zwischen Wut und Angst. Einerseits habe ich mir unfassbare Sorgen um sie gemacht, andererseits ging es mir schlecht und ich musste zusätzlich noch ihre Aufgaben machen, ohne dass es überhaupt jemand mitbekommen hat.
Inzwischen ist es besser. Aber wenn sie auf dem Sofa weint oder mir von ihren Problemen erzählt, habe ich immer noch Angst, dass sie sich einfach hinlegt und liegen bleibt. Ich habe das Gefühl, nochmal schaffe ich das nicht.
Danke fürs Lesen :)
Bee
Hallo liebes Forum,
meine liebe Kollegin bke-Claudia hat einen prima Aufschlag für die neue Themenwoche für Euch parat.
Viel Spaß und eine gute Diskusion
wünscht
bke-Stephan
Meine Eltern sind nicht „normal“!
Was heißt es, psychisch erkrankte Eltern zu haben?
Im beruflichen Alltag begegnen mir immer häufiger Jugendliche mit unterschiedlichen Belastungsthemen in verschiedenen Bereichen, ohne das große Ganze wahrnehmen zu können: Es geht um psychische Belastungen in der Familie. Da das Thema häufig ausgegrenzt wird und nicht klar benannt, sind die Jugendlichen unsicher – ist es normal, dass Eltern 10 Flaschen Bier am Abend trinken? Ist es normal, dass Mama und/oder Papa grundlos aggressiv und laut werden? Ist es normal, dass Mama oder Papa für mich emotional nicht da sind?
In Deutschland haben ca.3 Millionen Kinder und Jugendliche psychisch kranke Eltern und bei weiteren 2,6 Millionen leidet ein Elternteil unter einer Suchterkrankung. Diese Eltern sind oft nicht in der Lage, ihren Kindern das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zu geben.
Eine Zahl, die deutlich macht, dass man mit diesen Themen nicht allein dasteht.
Die Diagnose hat weniger Einfluss auf Kinder und Jugendliche, vielmehr sind es der Verlauf, der Umgang mit dem Thema (Familiengeheimnis oder darf ich darüber sprechen?) und die Schwere der Erkrankung.
Was merken diese Kinder und Jugendlichen? Sie nehmen wahr, dass ihre Eltern sich irgendwie anders verhalten als die Eltern ihrer Mitschüler*innen. Psychisch- oder suchterkrankte Eltern können sich in ihrer Rolle nicht so zeigen, wie Eltern ohne diese Belastungen. Regeln, Strukturen und auch eigene Werte können nicht vermittelt werden. Dadurch, dass diese Eltern mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen haben, können sie weniger stabil für ihre Kinder da sein, was erheblichen Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung hat. Es fällt schwer, einander zu vertrauen. Auch können betroffene Eltern ihre Kinder im Alltag nicht angemessen motivieren und unterstützen.
Was erzählen mir die Jugendlichen aus ihrem Alltag? Sie können nicht mehr schlafen. Sie übernehmen Verantwortung für Dinge, die sie eigentlich gar nichts angehen (in der Fachwelt spricht man von Parentifizierung). Teilweise gibt es Einschränkungen in ihrer Entwicklung, sowohl der körperlichen, als auch der sprachlichen Entwicklung. Auch können Essprobleme damit zusammenhängen. Beziehungen zu führen – ob platonisch oder romantisch – kann ihnen schwerer fallen als anderen Kindern, da sie nicht gelernt haben, wie ein gesunder Beziehungsaufbau stattfindet. Auch fällt es ihnen schwer mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen, zum einen, weil das Vorbild fehlt, zum anderen gab es vielleicht auch nicht die Möglichkeit, in einem stabilen Umfeld zu üben, was sie denn machen können, wenn sie mal so richtig wütend sind. Und da das Vorbild im Bereich der Selbstfürsorge häufig fehlt, besteht die Gefahr der eigenen psychischen Erkrankung.
Zum Glück wird dieses Thema aber immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft gebracht, es wird darüber gesprochen, das Tabu wird gebrochen und man darf hinschauen! Es gibt zahlreiche Hilfsangebote, die genutzt werden können. Häufig haben Familien dennoch Sorge davor, was passiert, wenn erstmal offen ist, dass Mama oder Papa psychisch krank sind. Immer mehr Prominente äußern sich – Kurt Krömer, Torsten Sträter sind nur zwei, die mir direkt einfallen. Die Angst vor Stigmatisierung wird hoffentlich immer kleiner.
Du bist vielleicht betroffen - Was kannst Du tun?
Trau dich und geh in den Austausch!
Achte auf dich:
- nicht die Aufgaben der Eltern zunehmend übernehmen
- aufpassen, dass du selber nicht zu kurz kommst
- kein schlechtes Gewissen, wenn du rausgehst, dich mit Freunden triffst
- gut auf dich selber achten
- mit Freunden reden, von Frust erzählen, Sport treiben, Selbstfürsorge betreiben
- suche dir professionelle Hilfe, sprich mit jemandem, der dich gut versteht
- bei Ärzten und Psychotherapeuten gilt Schweigepflicht
- beschaffe dir Informationen über die psychische Erkrankung des Elternteils
Über Gefühle zu reden, hilft, ein erkranktes Elternteil besser zu verstehen, eigene Gefühle besser zeigen zu können und Sorgen und Ängste zu reduzieren.
Da psychische Erkrankungen in den letzten Jahren immer mehr zugenommen haben, dachte ich, das wäre ein Thema, das euch interessiert und von dem ja auch einige betroffen sein können.
Auch hier ist eine gute Gelegenheit, sich Hilfe und Unterstützung zu holen.
bke-Claudia